2005:

[Vier Nächte]

[Sollbruchstelle]

[Hannah]

[Papst]

[Beckenbauer]

2004:

[Mein Bruder]

[Die Vampire]

[Die abgeschnittenen Haare]

[Im unbekannten Haus]

[Die Nazis und der große Plan]

[In Berlin]

[Mittagspause]

[Der Streik]

[Die Urgroßtante]

[In der Wohnung]

[Der ghost-writer und das Mädchen]

[Die Teddy-Bären]

[Der tote Kollege]

[Eine Ehe]

[Das Entsetzen]


2003:

[Wach ich oder träum ich?]

[Ein Spaziergang]

[Der Aufzug und die Leiche]

[Im Supermarkt]

[Das Spinnennetz]

[Die Verfolgung]

[Auf der Suche nach den Pinguinen]

[Im Dorf]

[Ein Selbstmordversuch]

[Die Sache mit den Pickeln]

[Das Haus mit dem Kuppeldach]

[Allerlei]

[Die Tierchen]

[Die andre Seite]

[Im Laden]

[Das perfekte Bild]

[Das Telephon schellt]


[wird fortgesetzt]




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September 05 In der ersten Nacht ruft meine Mutter mich in der Arbeit an um mir zu sagen, daß F. einen Urlaub für mich als Geschenk hat, der Flieger geht in zwei Stunden. Aufregung. Ich kann hier doch nicht so schnell weg. Dann ruft F. selbst an, ist verärgert, daß seine Oma ihm zuvor kam, es sollte doch eine Überraschung sein, er und ich, zwei Wochen Urlaub im Irak. In zwei Stunden geht der Flieger. Meine Aufregung steigert sich fast zur Panik. Ich habe nichts gepackt. Das ist egal, meint F. Wie soll das hier in der Arbeit denn gehen? Tja. Kann ich denn einfach alles stehen und liegen lassen? Ich ordne noch ein bißchen, lasse dann alles stehen und liegen und gehe weg.

In der zweiten Nacht suche ich meinen Vater. Ich weiß, in welchem Krankenhaus er liegt. Dort laufe ich durch endlos scheinende, dunkle Gänge. Es ist menschenleer. Das viele Gepäck, das ich mit mir trage, wird immer schwerer. Da steht ein Rollstuhl, ich setze mich hinein, nehme das Gepäck auf den Schoß und rolle mich weiter. Gelange zur einem Schalter, dahinter sitzt eine Frau, doch sie hilft mir nicht. Rollen, abbiegen, suchen, rollen. Bis ich in den Gang mit den vielen Betten gelange, ein Bett neben dem andren, in jedem schläft ein Mensch, ganz hinten am Ende des Ganges steht eine Krankenschwester. Zu ihr fahre ich hin, frage nach meinem Vater, doch aus sie hilft mir nicht. Ich schaue in das erste Bett und da liegt er doch! - Aber nein, ich habe mich getäuscht, es ist ein fremder Mensch. Ich laufe an der Reihe der Betten entlang und dann finde ich ihn, schlafend, in einem roten Strickpullover. Unsicher bleibe ich stehen, weiß nicht, wie ich ihn ansprechen soll, dann öffnet er die Augen und lächelt mich an.

In der dritten Nacht finde ich ein altes Buch, welches ich längst vergessen hatte. Darin befinden sich Notizen und Zeichnungen, angefertigt vor langer Zeit von mir selbst. Zweimal das Gesicht meiner Mutter, auf einem der Bilder lacht sie fröhlich, sieht jung und hübsch aus. Habe ich soviel vergessen?

In der vierten Nacht strolche ich mit Tine durch die Gegend, wie wir damals mit 14 oft durch die Gegend gestrolcht sind. An einer Kreuzung mit vielen Abzweigungen wissen wir nicht weiter. Welchen Weg nur sollen wir einschlagen? Da habe ich die Idee: Vielleicht sollten wir uns erst überlegen, wohin wir wollen, um dann den richtigen Weg zu finden. Sage ich und komme mir sehr weise vor.

Ab der fünften Nacht war wieder Ruhe. Seitdem einmal von den Bäumen geträumt, aber das ist nichts, was mir das Leben erklären könnte. Das ist nur Sehnsucht.






27.06.05 Ein Wort nur, wieder mal nur ein Wort, schräg steht es in altertümlichem Schriftzug vor den geschlossenen Traumaugen, es lautet: Sollbruchstelle. Woher das kommt, das weiß ich nicht. So schlicht, so beruhigend. Soll - Bruch - Stelle ...






08.05.05 Während der 11 Stunden eine lange Bahnfahrt. Wohin, das weiß ich nicht. Eine Durchsage: "Nächster Halt: Irak." Und die Stimme aus dem Lautsprecher spricht von Aussteigen, Aufenthalt und Umsteigen. Angst. Hier will ich nicht sein. Trist die Stadt, ein großer leerer Parkplatz. Flüsternd höre ich meinen Vornamen, drehe mich um. Hannah. Was tust Du hier? Denke ich, ich sage nichts, wage nichts, nicht das Gehen über die große graue Fläche hin zu ihr, wo sich sich kauert, meinen Vornamen flüsternd. Hannah, denke ich, Du sollst hier nicht sein, Du sollst in Sicherheit sein oder meinetwegen auch in Deutschland oder in Äthiopien, aber nicht hier. Und ich will hin zu ihr, aber da ist die Angst, doch immer größer wird die Scham und ich flüstere ihren Vornamen, da ziehen fremde Hände mich weg. Zur Hauptverkehrsstraße, die Ampel steht auf Rot. Ein wunderschönes Seitengäßchen, schmal, begrenzt von alten Steinen, die andren Frauen gehen hinein. Ich würde gern, doch die Angst erstarrt mich, die Angst vor den Bomben, die fallen werden, so stehe ich, rechts das Gäßchen, vorne die Ampel. Erwache verschwitzt und voll von Angst vor den Bomben, pünktlich, heute.






25.04.05 Der neue Papst, der, mit seinem Käppi auf dem Kopf, lachend über die Wiese rennt, die Soutane vor sich hochrafft, den Fußball vor sich herdribbelt; ein Verrat; ein verweigerter Kuß. Zusammenhangslos oder vielleicht auch nicht.






06.03.05 Beckenbauer trägt eine extrem breite Breitner-Perücke, stolpert auf Rollschuhen über das Gras, einen laschen schwarzen Ball vor sich herkickend, und ruft: "Ich bin Deutschlands schnellster Mittelstürmer!"






Oktober 04 In der Nacht vor der Beerdigung meines Vaters. Jemand kommt und will mich zu meinem Bruder bringen. Aber mein Bruder ist seit achtzehn Jahren tot. Nein, sagt der Jemand und führt mich durch lange kahle Gänge, an einer Abzweigung werde ich allein gelassen. Nur noch um die Ecke gehen. Ich habe Angst, Angst vor dem schwarzverbrannten Apalliker, der mein Bruder sein soll, wie kann er nach dem Unglück in andrem Zustand sein.

Ich gehe um die Ecke und stehe in einem Zimmer, das beinahe komplett von einem großen flachen Bett ausgefüllt ist, darauf spielt ein Wesen selbstversunken, alterslos, geschlechtslos, mit gesunder Haut. Es bemerkt mich, sieht auf und sagt Hallo. Ich sage Hallo. Wir schauen uns an, in seinem Blick liegt arglose Neugier und keinerlei Erinnerung. Er scheint sich über Besuch zu freuen. Und auch ich freue mich, es ist reine, tiefe Freude, die in mir aufsteigt, ganz ruhig, doch unaufhaltsam, ich habe meinen Bruder wiedergefunden. Da plötzlich wird sein Blick nachdenklich. Ich kenne dich doch irgendwoher, meint er, du gehörst doch zu dem Haus. Von welchem Haus spricht er, von unserem Elternhaus oder diesem Haus, nun sein Zuhause? Es ist egal, ich sage ja, ich gehöre zu dem Haus und jetzt bin ich da.

Nach dem Erwachen die große Traurigkeit und Sehnsucht nach was eigentlich, das seltsame Gefühl der Durchlässigkeit; aber auch Trost, ein Teil der Freude ging mit rüber.






13./14.(?)10.04 Die Vampire sind nur zu vernichten, wenn der Pfahl nicht nur durch ihr Herz, sondern auch durch den Untergrund, auf dem sie liegen, getrieben wird. Die Vampire müssen angenagelt werden. Ich liege auf einem Holzbett und irgendjemand glaubt, ich sei ein Vampir.






17.09.04 Ich packte meine Haare im Nacken zusammen und schnitt sie ab, einfach so. Das große Entsetzen folgte unmittelbar und verzweifelte Bemühungen, das Geschehen nicht ins Bewusstsein dringen zu lassen scheiterten. Wenn es nicht bewusst wird, dann ist es nicht wahr, so sagte ich mir und widerstand der Versuchung, den Zopf im Regal noch einmal anzusehen, es darf nicht wahr sein, es ist doch erst vor einigen Sekunden passiert, die Zeit muss zurückgestellt werden. Doch immer stärker drängte sich das Wissen auf, die Haare sind weg, unbedacht abgeschnitten, nie mehr werden sie die Länge erreichen, die sie hätten erreichen können.






Da sitze ich nun in der Diele im neuen, mir unbekannten Haus von alten Nachbarn. Früher, als kleines Kind, ging ich dort im Hause ein und aus, im neuen Haus finde ich mich nicht zurecht. Jemand öffnet der Reihe nach all die Türen und erklärt mir, wohin sie führen. Sie alle führen nach draussen, so viele Ausgänge, doch ich weiß nicht, wo ich hin soll.






[28.08.04] Letzte Woche, in irgendeiner Nacht: Ein Aktenvorgang, belanglos scheinbar, doch zwischen den Zeilen ist zu lesen: Um elf Uhr auf dem Dachboden. Ich bin dort, voll Angst, die Kollegin in der andren dunklen Ecke bemerkt mich nicht, ich gebe mich nicht zu erkennen, bleibe in meiner dunklen Ecke. Sie verlässt nach einer Weile den Dachboden. Hier wird nichts passieren, vielleicht ein Mißverständnis. Im Treppenhaus auf dem Weg nach unten stürmen mir Jugendliche entgegen: "Hier solls abgehen, Alter, die action!" Nein, geht wieder runter, hier ist nichts. Die Kollegin steht bereits im Mantel im Büro, auf dem Weg nach Hause, den Aktenvorgang in der Hand. Wollen Sie das wirklich mitnehmen? Wäre es nicht besser, das dem Chef auf den Tisch zu legen? Gut. Gut, man weiß ja nie. Auf Wiedersehen.

Dann, in der großen Halle höre ich es: Röhm ist tot. Und jetzt verstehe ich: Da war kein Mißverständnis, da ist ein Plan, Göring hat abgelenkt. Eins fügt sich zum andern und ich verstehe noch viel mehr, nämlich das große Täuschungsmanöver: Die Geschichte ist Gegenwart und wird präsentiert als Ablenkung von sich selbst, was wir berichten und uns berichtet wird geschieht justament im Jetzt, eine gigantische Maschinerie von Trugbildern.

Man muss das stoppen, ich renne den ganzen Weg durch die große Halle und rufe nach Hilfe und schreie "Gebt acht!". Alle gehen sie ihren gewohnten Tätigkeiten nach, manch einer schaut auf, doch aufhalten lässt sich niemand, beschäftigt im Tun seines Alltags.

Von der Ferne beobachte ich das Geschehen hinten am offenen Tor: Im Gegenlicht steht der Rabbi im Priestergewand dem Mann gegenüber, hält ihm einen Habit entgegen und fleht ihn an um Verstehen: Wenn Göring seit einer Woche unauffindbar ist und seine Tracht nicht trägt, er trug sie doch immer, dann ist etwas nicht in Ordnung, ganz und gar nicht in Ordnung. Verächtlich schüttelt der Mann die Hand des Rabbis ab. Er glaubt ihm nicht. Er hält das für unsinniges Gerede. Ganz ruhig nun schaue ich mir das an und weiß, daß ich sagen kann was ich will, es wird in den Ohren der Andren unsinniges Gerede sein, es wird verächtlich abgetan werden. Alles wird seine Gänge gehen und nichts und niemand wird das stoppen. Mit dem Rabbi sollte ich sprechen, doch das fällt mir erst nach dem Aufwachen ein.






[08.08.04] Die zweite Nacht wieder in heimischen Gefilden und die zweite Nacht hier geträumt von S-Bahn-Stationen. Von Berliner S-Bahn-Stationen. Nichts besonderes, sie waren einfach da und ich war dort. Schlimmer war ein Traum, den ich noch in Berlin träumte. Da wurden die Stationen nämlich entführt und der Verdacht lag schwer im Traum, daß sie auch ermordet wurden.






[16.07.04] Mittags um halb eins ins Bett, schlafen und träumen.

Die Chefs haben nun eine Mittagspause angeordnet: Das Haus bleibt von halb eins bis halb drei geschlossen. Einen ruhigen Raum suchen und schlafen. Wirr träumen, aufwachen und erschrecken. Keine Uhr hier, bestimmt verschlafen, nach draussen hetzen. Irgendjemand hat bereits die Türe aufgesperrt, reger Betrieb, herumirren, Orientierung suchen. Es ist kurz nach halb drei.

Aufwachen, erschrecken, wo bin ich, wie spät ist es? Kurz nach halb drei.






[03.07.04] Geträumt hab ich vom Streik gegen das Leben und gedacht hab ich, daß das doch nur für das Leben spricht, der Tod muss nicht erstreikt werden.






[06.06.04] Die Urgroßtante Konstinante wurde vergessen, im Gothikladen, und dort hat sie zwei Tage lang gewartet und als jemand kam und nach ihr schaute war sie verschwunden.






[09.06.04 Die Wohnung gleicht einem Bahnhof: Der Flur eine Mittelhalle, links und rechts je sieben Türen, sich exakt gegenüberliegend, hinter den Türen Stufen, die nach oben führen zu den Gleisen, in dem Fall Zimmern. Spät am Abend stellt sich die Frage, was eigentlich befindet sich in Zimmer Nummer 3. Vor langer Zeit hielt sich dort jemand auf, die Erinnerung ungut und verschwommen. Aber ist es wirklich so lange her? Was war denn gestern? Ja was war denn da? Stockdunkel ist es hinter der Tür, die Treppen sind schnell erstiegen, Stockdunkelheit auch in dem Zimmer. Das Dachflächenfenster weit öffnen, Tasten nach dem Bett, vielleicht sollte es aufgeschüttelt werden, sollte es das nicht? Unter der Bettdecke ein menschlicher Körper, der sich eben zu regen beginnt und das Erkennen dieser Dummheit: Mitten in der Nacht alleine in der Wohnung dieses Zimmer betreten zu haben.






[03.06.04] "Ich bin ein Ghost-Writer" sagt der Ghost-Writer zu dem kleinen Mädchen, "wie sollte ich dir helfen können?"

"Du kannst mein gelbes Licht für die andren Menschen blau leuchten lassen, dann können sie in meinen Gehirnwindungen spazierengehen."






[06.05.04] Ein Teddybär rennt durchs Gras, es ist so hoch wie er groß ist, er rennt um sein Leben. Was hetzt ihn da nur durch diese schöne Wiese. Den matten kleinen Twinkle-Bären nimmt er auf den Rücken und rennt weiter, andre Teddybären schließen sich ihm an, vier oder fünf Teddybären sind es schließlich, die in großer Angst die Wiese verlassen und sich in eine U-Bahn flüchten. Hier ist es stickig und eklig und laut und voll. Überall Menschen, die sich Magazine mit Bildern anschauen, Bilder, die kein Teddy sehen und über die er nicht sprechen will. Ist das eine geglückte Flucht?

Warum sind die Teddybären weggelaufen? Wo sind sie jetzt? Sind Träume schlimmer als das Leben?






[Frühjahr 04] Der Blick fällt zufällig nach oben ins Zimmer, zur großen Wanduhr. Dort hängt der Kollege und ohne es zu überprüfen weiß sie, daß er tot ist. Sie bittet ihren Gesprächspartner, ihn nicht aus den Augen zu lassen. Als wenn das was helfen würde. Und rennt hinaus, zum Telephon, wen soll sie anrufen?, den Krankenwagen. Am Gartentor erwartet sie die Sanitäter. Sie lachen und scherzen, als sie mit der Trage hinaufgehen, doch beim Betreten des Zimmers sind sie still. Als sie wieder hinsieht, sind sie mit der Leiche verschwunden, nur die Trage steht noch da, mit siffig-klebrigen Überresten des Kollegen.






Der Vater findet nach fast 45 Jahren Ehe heraus, daß seine Frau nur deshalb FC Bayern-Fan ist, um ihre Ruhe zu haben.






[01.03.04] Alle Türen sind versperrt, das Haus schläft, nun können wir nach Hause gehen. Als ich auf die Andren zugehe bemerke ich ihre Erstarrung und schon spüre auch ich die Bedrohung, es ist eine todbringende. Blitzschnell geht es vonstatten: Das Ich wird zum Es, schlangenähnlich kriecht es über den Boden, den dunklen Ecken zu. Den Ecken und dem Faltenwurf im dunkelblauen Samt. Verkriechen. Verstecken. Verschwinden unmöglich. Beständig wird es aufgescheucht durch das. Aus dem Dunkel vertrieben flieht es dahin. Und will so nicht weiterleben. Und es richtet sich auf und ich nehme das kleine Messer und stelle mich in die Mitte des hellen Raumes. Dem entgegen. Und beobachte den Zug der Kinder, Kinderschlange, gekauert wandern sie auf den grünstichigen Mann zu, der ihnen mit dem Säbel die Hemden vom Leib schlitzt, daraufhin purzelbaumt das Kind aus sich selbst und verschwindet. Eins nach dem Andren. Der Mann wirft mir mit höhnischem Lachen die Stofffetzen zu, die sich während des Fluges in rohes lebendiges Fleisch verwandeln, mit dem kleinen Messer will ich das töten und zerstochere und zerteile das und jeder Teil wird neues Leben. Dann ruft der Mann den verbotenen Namen. Und der Stellvertreter wirft nicht mehr höhnisch, stattdessen böse lachend zielgerichtet das Fleisch auf meinen Bauch und während der Verätzung sehe ich als letztes den Monitor mit all den Namen.






[28.12.03] Du stehst in einem rosafarbenen Zimmer. Die Plüschtapeten an der Wand sind rosa, die Stoffhasen pink. Du findest das Hiersein seltsam und wunderst Dich auch über die Vitrinen, befüllt mit Schmuck, Flitterkram und Glitzerzeug für die Barbiepuppen, alles schön ausgeleuchtet, doch im hellsten Licht strahlt das Kruzifix mit der leidenden Jesusfigur. Hier ist kein Mensch außer Dir.

Du hörst Deinen Atem, tief und regelmäßig und weißt Dich in Deinem Bett.

In dem menschenüberfüllten Raum, der ein amerikanisches Schnellrestaurant sein könnte, hüpft links auf der Matratze eine Frau auf und ab. Die Frau sieht aus, wie Du vor einigen Jahren ausgesehen hast.

Und nun sag mir: Wachst Du oder träumst Du? Wanderst Du wach durch rosa Räume oder lauschst Du schlafend Deinem Atmen?

Ein Versuch: Bewege einen der sitzenden Menschen zum Aufstehen. Dann bist Du die Herrin Deiner Filme.

Die da hinten, die mit den braunen Haaren, die mit dem Rücken zu mir sitzt. Hey, steh mal auf. Sie schüttelt sich verärgert, dreht sich um und schaut mich an. Aufstehen sollst Du, los, ich will doch diesen Mist nicht träumen! [Sicher nicht? Würdest Du _das_ wirklich lieber wach erleben?] Die Frau mit den braunen Haaren windet sich herablassend lächelnd und augenverleiernd hoch.

Weißt Du nun Bescheid? Pass auf, daß Du nicht lachst.














[28.08.03] Im Supermarkt an der Kasse liegen dicht aneinander grüne Äpfel auf dem Band. Die Kassiererin zählt und zählt, jeweils 20 Äpfel tippt sie ein in ihre Kasse. Bei 180 muss sie von vorne beginnen, weil sie durcheinander kommt. Es wurde schon viel gezählt, die Kundin hat bereits einen Einkaufswagen mit roten Äpfeln voll gefüllt neben sich stehen. Endlich ist die Zahl der grünen Äpfel ermittelt und soll nun mit der Anzahl der roten addiert werden. Die Kasse errechnet den Betrag von -210.






[25.08.03] Ich möchte einen Raum verlassen, um die große Weite dahinter zu betreten. Doch links vom Durchgang ein großes Spinnennetz. Dreidimensional. Mit tütenförmigen Ausläufern, im Kreis um das Rund des Netzes angeordnet. Darin sitzen die Wächterspinnen. Ein starker Faden ist gespannt von links nach rechts, in Brusthöhe eines Menschen etwa, quer über den Durchgang. Mein Opa, der schon viele Jahre tot ist, versucht hindurchzugehen, und kaum berührt er den Faden, da krabbeln alle Spinnen auf ihn zu. Ich weiß nicht, was mit ihm geschieht, doch weiß, daß das nicht geschehen sollte. Ich will da durch. Ich mache mich klein, möchte unter dem Faden hindurch, doch wage den entscheidenden Schritt nicht, die Spinnen sind so nah über mir.






[17.08.03] Meine Mörder verfolgen mich wieder. Ich sehe sie nicht, doch weiß es, sie sind nah. Flucht in den Hauptbahnhof, dort warten die Polizisten: In Achtergruppen stehen sie auf Tribünen, je vier Schulter an Schulter und Rücken an Rücken mit vier andren, bewaffnet und gerüstet, sie jagen meine Mörder. Niemand beachtet mich, ich will Hilfe, dringe vor zu einer Polizeigruppe und fixiere den Mann in der Mitte. Als er meinen Blick auffängt, beugt er sich herab, endlich frägt jemand nach mir, und als ich antworten will, habe ich keine Stimme mehr.

Im brechend vollen Zug sind sie in meiner Nähe, doch auch ein Freund, er warnt mich, die Männer dort vorne, in den kurzen Hosen, von denen einer grünliche Hautfarbe hat, das sind sie, die zu Azzarro gehören. Azzarro ist der Regisseur. Seine Leute sind die Verbrecher. An meiner Heimathaltestelle steigen alle Menschen aus, auf dem schnellsten Weg will ich in die Wohnung, doch zu viele Menschen, der Freund unterhält sich mit dem Professor, ich rutsche den Abhang hinunter, schnell weg, weg.

Mit dem Freund und seiner Frau, sie ist meine Freundin, stehe ich vor der Haustür, sie sind uns dicht auf den Fersen, die Türe auf, schnell. Doch über Nacht wurde ein neues Schloß eingebaut, ein Sicherheitsschloß, fünf Schlüssel müssen in der richtigen Reihenfolge in die richtigen Schlüssellöcher gesteckt werden, macht schnell, sie kommen. Ins Auto, sagt meine Freundin, wir fahren dich mit dem Auto ins Haus, sie schiebt mich in den Kofferraum, der so klein ist, daß ich ihn komplett ausfülle und zu ersticken drohe.

Mit meinem Kind sitze ich im Flur der Wohnung. Wir müssen uns still verhalten, dürfen uns nicht rühren, damit uns niemand bemerkt. Plötzlich knackt es in der Sprechanlage. Das sind sie! Sie stehen vor der Haustür und wissen, daß wir hier sind. Gleich sagen sie, daß sie kommen werden. Es knackt wieder und jemand singt ein trauriges Lied in russischer Sprache. Es ist der Nachbar, der von seiner Freundin aus der Wohnung geworfen wurde. Er fleht sie an, ihn wieder anzunehmen. Als der Gesang endet, ist Applaus aus allen andren Wohnungen zu hören. Jemand macht Licht in der Wohnung, durch die orangenen Seidentüchern an den Fenstern leuchtet es hell nach draussen. Es sieht aus wie Weihnachten und ist das Ende.






[09.08.03] Auf der Suche nach den Pinguinen an eine mit weißem Quellzeug verengte Stelle im Mauerwerk gelangen; überlegen, ob das Durchzwängen sinnvoll ist und nah rantreten, das überall leuchtende weiße Licht blendet; überlegen, ob Pinguine in der Antarktis zu finden wären, außer dem weißen Blendlicht ist nichts mehr wahrzunehmen; die Erkenntnis, daß hier alles unter Strom steht zugleich mit dem Stromtod und aus dem Traum schrecken.






[10.07.03] Gestern nachmittag fuhr ich in ein altes Dorf, um dort ins Schwimmbad zu gehen. Vorher wollte ich Lebensmittel besorgen und bin in das Lädchen am Marktplatz.

Während ich mich in dem fremden Laden zu orientieren versuche, höre ich in der Nähe ein sehr vertrautes Lachen. Drehe mich um und sehe den Museumsdirektor an der Kasse mit einer Kundin scherzen. Es zieht mich hin, ich möchte "Hallo" sagen, wende mich jedoch ab und schaue in die Regale. Mozarella wäre lecker, doch die letzte Packung, die sie hier haben, ist seit April verfallen. An der Kasse sitzt mittlerweile eine junge Frau, die ich von früher kenne, den Museumsdirektor höre ich in der anliegenden Wohnung lachen. Die Frau kichert, als ich sie nach frischem Mozarella frage und begleitet mich dann auf meinem Weg zum Schwimmbad. "Was hast du eigentlich in deiner großen Reisetasche?" will sie von mir wissen, und meine Antwort "Alles mögliche" will ich beweisen und packe die Tasche in einer Seitengasse aus. Neben allem möglichem ziehe ich zwei, drei, ingesamt fünf selbstgestrickte Wollmützen heraus. Doch keinen Bikini. Ich bin sehr froh darüber, kein Badezeug dabeizuhaben, denn Schwimmen und Badeanstalten mag ich im Traum ebensowenig wie im wachen Leben.






[06.07.03] Letzte Nacht im Traum ein Selbstmordversuch. Ich stürzte mich kopfüber in die leere Badewanne.






[05.07.03] Zwischen dem Klingeln der beiden Wecker am Morgen liegen zehn Minuten, diese Minuten haben den weiblichen Pickeln genügt, um auf einer geschlechtsspezifischen Anrede zu beharren, eine Pickelin sei besser als nichts, der Wunsch nach sprachlicher Abgrenzung von den Pickeln wurde sofort verstanden, wer möchte schon gern ein Pickel sein. Zur Verblüffung über die Tatsache von Geschlechtsunterschieden bei Pickeln gesellten sich abstruse Vorstellungen über nie bemerkte Geschehnisse in einem Gesicht, vielleicht unterirdisch durch eine Art Myzel? und der Plan, ein Patent zur Verhütung künftiger Pickelchen anzumelden. Bevor das Patent entwickelt werden konnte, erbarmte sich der zweite Wecker.






[27.05.03] Ein rundes oder vieleckiges, rund wirkendes Haus mit einem flachen Kuppeldach. Steht umgeben von Wasser, außenrum finden verschiedenste Spektakel statt. Die Spektakel sind oft gefährlich, das Haus ist es immer. Ich bin oft bei den Spektakeln zugegen und suche immer das Haus auf. Dabei muss ich sehr aufpassen, da niemand mich hier antreffen darf, niemand mich sehen. Vor einiger Zeit bin ich ins Haus, um dort das Badezimmer zu nutzen. Das ging die Nacht über gut, bis ich am sehr frühen Morgen auf dem Weg zum Bad den Bewohner des Hauses sich streckend, erwachend im Bett vorfand. Es war Frank Zappa und ich bin schnell geflohen.






[17.03.03] Ich habe von Neuwahlen geträumt, die SPD gewann in der Stichwahl mit hauchdünner Mehrheit.

Habe geträumt, daß ich jemanden aufsuche, um mir ein Telephonbuch schenken zu lassen (im Traum ein wertvolles Gut), beim Einpacken in den Rucksack entdeckte ich noch ein Telephonbuch und hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen.

Wollte eine Abkürzung nehmen und sprang einen halben Meter tief in einen Sandhaufen, dabei gerieten Sandkörner in die oben offenen Schuhe und mein verletzter Fuß schmerzte dadurch wieder höllisch. (Kannst du nicht einmal vernünftig sein!, sagt eine Stimme, wenigstens einmal?) Zu einer Bank kann ich mich schleppen, ordne dort die Inhalte von Rucksack, Reisetasche und Plastiktüten.
Aus der Filmperspektive sehe ich an eben dieser Bank eine Frau und einen Mann. Er bedroht sie mit einer Bombe, darauhin legt sie das handy, mit dem sie Hilfe holen wollte, weg. In seiner Kamera befinde sich ein Film für 90 Minuten und zwei Stunden, genau so sagt er, anschließend würde er sie in Ruhe lassen. Und postiert die Kamera oberhalb der Bank.

Ich gehe durch die Stadt und sehe, es werden alte Häuser zu Wohnungen umgebaut, wunderschöne Wohnungen, die durch historische Arkadengänge betreten werden. Und billig sind die Wohnungen, unglaublich billig, ein Glücksfall, exakt das, was ich will und brauche. Hier kann ich in Ruhe leben. Jemand erzählt, die Wohnungsbaugesellschaft gehört der NPD, so drehe ich mich um und gehe. (Die Stimme ruft mir nach, so stur bist du also, so schrecklich stur?!)

Laufen durch einen niedren unterirdischen Gang, das Licht am Ende des Tunnels sehen (haha), blankes Erdreich links und rechts, Wurzeln, ein hohler Baum in der Mitte, Angst kriegen, umdrehen und zurück rennen.

Eine Frau, die ich nicht leiden kann, trägt ein häßliches weißes Shirt mit roten Blumen darauf. Ihr steht das Shirt.






[09.03.03] Ein kreisrunder sehr hoher Raum, darin ein Bistro, kleine runde Marmortischchen, an denen Menschen sitzen. Der Raum ist hoch genug um daß zwei Galerien, ähnlich einem zweiten und dritten Stock, eingezogen sind. Marmortischchen auf den Galerien, kreisrunde schmiedeeiserne Zäunchen, die den direkten Weg nach unten erschweren. An die Zäune lehnen sich menschengroße Tiere, menschenartig auch stehen sie auf zwei Beinen, stützen die Unterarme auf das Geländer und schauen nach unten zum Café. Dichtes hellbraunes Fell haben diese Tiere, die ein wenig an Murmeltiere erinnern. Ruhig und gediegen die Atmosphäre, auch das Tun der Menschen auf den Galerien tut dem keinen Abbruch. Die Menschen schneiden den Tieren rautenförmige Stücke aus dem Fell, hinten an Rücken und Po, dies scheint die Wesen nicht zu stören, sie lassen geschehen und betrachten ungerührt das Geschehen in der Tiefe. Doch nun wird die Stille unterbrochen: Heftige Diskussionen zwischen den Menschen, die ein mögliches Problem zu erkennen glauben: Die Tiere könnten abstürzen und die Cafébesucher verletzen. "So ein Viech erschlägt doch keinen!" ruft einer, und "Es könnte aber auf den Tisch fallen!", wird ihm entgegnet. "Ja und?!" - "Das Geschirr könnte brechen, es gäbe Scherben und Splitter, stell dir vor, was dann?"






[03.03.03] Später Nachmittag, noch Sonne, menschenleer und ruhig. Eine lange Straße bergaufführend. Ganz oben wirst Du erwartet, von lieben Menschen, Du weißt das und gehst unermüdlich voran. Ankommen, begrüßen, freuen. Und nun schau, sagt einer und breitet den Arm nach der Dir noch fremden, andren Seite aus, schau, das will ich Dir zeigen. Und Du schaust und siehst ein Neubaugebiet, kaum ein Haus, das schon fertig ist. Schaust und erkennst und erinnerst Dich und da ist der Schmerz. Freuen solltest Du Dich, doch brichst mit langem Klagelaut zusammen. Bitter, die andren zu enttäuschen, unerträglich die Erinnerung. Verstörtes Erwachen und fragen, wie Du nur vergessen konntest. Daß Du dort gewesen warst, zu Zweit, glücklich. Unbeschwert. Details wieder ganz nah, greifbar, lebendig. Du bist wach und brauchst eine gute Weile, um die Mischung aus Trauer und Angst und Verzweiflung zu beherrschen und irgendwann zu erkennen oder zu ahnen oder den Hauch einer Ahnung zu spüren, daß auch die glückliche Erinnerung geträumt wurde, vor langer Zeit, wie es scheint. Wenn.






[22.02.03] Schmuckständer, überhängt mit Halsketten, schöne Stücke: grob, schwer, fingerdick, silbern oder eisern?, walnußgroße Anhänger. Wirklich schöne Stücke. Versteckt am Ende ein zierliches Kettchen daran drei winzige Anhänger, fein gearbeitet: eine Gabel, ein Herz, ein Messer, versehen mit spitzen, nach oben ragenden Pfeilen.

Eine Glasschüssel fällt und bricht. Versteckt unter einem Stuhl die Scherben: drei tropfenförmige, parallel zueinander liegende Scherben, die Spitzen zum nach oben weisenden Pfeil geformt.

Und sieben Kätzchen unter dem Stuhl, schwarz-weiß, streichholzklein, mit zerstörten Pfötchen, nicht zerschmettert, nein, verätzt, Schmerz steht in ihren Gesichtern und Unverständnis, warum verätzt jemand die Pfoten von Porzellankatzen?






[02.02.03] Endlich angekommen, mitten in der Stadt. Erschöpft lasse ich mich auf dem Gehsteig nieder, ausruhen, nur noch ausruhen. Da: ein schwarzes, sehr großes schweres Pferd, Oldenburger wohl, steht vor einem auf dem Boden kauernden, schwarzen felligen Hund, Wuschelhund wohl, dahinter eine Fahrradfahrerin, stehend. Als das Pferd den rechten Vorderhuf Richtung Hund bewegt, tritt die Radfahrerin das rechte Pedal nach unten, als der Huf auf dem Hund ankommt, steht der schwarze Stöckelschuh als Spitze des Dreiecks über der Szene, ist Teil der Szene geworden. Das perfekte Bild, schwarzer Huf, schwarzer Hund, schwarzer Stöckelschuh. Meine Kamera. Ist im Rucksack, der ist im Haus und ich renne los, renne durch Stadt und Hitze, es ist sehr heiß, ich kann bald nicht mehr, Seitenstechen und Brustschmerzen und keine Luft, immer schleppender wird mein Gerenne, doch ich renne, einem Ziel zu. Welches ich erreiche, doch ganz anders vorfinde als erwartet. Es bleibt die Abbildung des perfekten Bildes, in meinem Kopf.






[11.01.03] Das Telephon schellt. Die Stimme sagt:

"Osama bin Laden ist tot."