sammlung



notiert

sequenzen




notiert



29.09.02
Da reist einer von Braunau nach Linz und weiter nach Wien und Nürnberg und Weimar. Die andren Städte sind mir entfallen. Sieht sich die Orte an und die Menschen und wird darüber ein Buch schreiben. Ich bin sehr gespannt.




Das ist so ähnlich.

Sowas und andre interessante Dinge findet man hier.

Dazu meinte mein kluger Sohn: Der Mann hat ein Problem. Man sollte über so Menschen nicht lachen.

* * *


28.09.02
In der Buchhandlung.

Mann: "Schau, "Die glückliche Hausfrau", das ist doch was für dich!"

Frau winkt ab.

Mann, mit Buch fuchtelnd: "Warum denn nicht, schau!"

Frau, leise: "Wer sagt denn, daß ich glücklich bin."

Mann: "Ich!"

Frau blickt ihn an.

Mann, Buch beiseite legend: "Dann eben nicht."

* * *


27.09.02
Stiefel im Gang, ein plärrendes TV-Gerät, Tomatensoße in der Spüle, Chipspackungen auf dem Boden: schön! Alles wieder - normal? Normal. Wohnungstechnisch gesehen.




Wie versprochen, irgendwann mal:






Einschlafen kann so wunderschön sein. Wenn Du zum Beispiel die Raben ansiehst. Eine Stimme sagt, die weiblichen Tiere seien die schöneren und dazu weisst Du nichts zu sagen, der Unterschied ist Dir nicht bekannt, aber das ist nicht schlimm. Anschließend, mittlerweile im grauen Anzug mit passender grauer Pan-Tau-Melone krabbelst Du unter einer rot-weißen Absperrkette hindurch, um den Friedhof zu betreten. Ein bißchen sieht es hier aus wie auf dem Hietzinger Friedhof, jedoch nicht mehr beim um die Ecke biegen. Der Nachbar stapft die Treppe hoch, oh, bitte störe mein wunderschönes Einschlafen nicht. Nicht diesen Schreck, der einen Blitz in´s Herz und dann in den Kopf schickt, der erst durch die Zehen wieder austritt. Der Schreck bleibt aus, Du schaust noch einmal über den Friedhof.

Einschlafen kann furchtbar sein. Nämlich dann, wenn es nicht stattfindet. Irgendwann weckt Dich der Wecker aus halbkomatösem Zustand. Der Schreibdrang ist stärker als das Duschbedürfns, lindert die Unruhe jedoch nicht.

* * *


26.09.02
Am kommenden Samstag um 18.00 Uhr liest
Markus Wolf im Schwurgerichtssaal 600.

Der Eintritt ist frei.





In einem der Vorgärtchen standen letztes Mal noch drei stattliche Bäume. Heute liegen sie, die Stämme, kronenlos, umgeben von zersplittertem Holz. Einige Schritte weiter ist das Haus bald fertig. Dreistöckig mit Tiefgarage. Vor wenigen Monaten noch befand sich auf dem Gelände ein wilder Garten mit einem Hexenhäuschen darin. Auf einer der letzten Wiesen hier steht nun das Schild eines Bauunternehmers. Woanders werden die Bahnhäuschen abgerissen. Es gefällt mir nicht, was sie aus der Welt machen. Sie erben Schmuck von der Mutter ihrer Urgroßmutter und schmelzen ihn ein. Moderne Goldnuggets prangen nun an ihrem Hals. Sie finden Bücher auf Dachböden und werfen sie in´s Altpapier.

Ein meist Angetrunkener fällt beinahe die Stufen aus dem Metzgerladen herab. Kann sich grad noch fangen, wirkt heute auch nüchtern. Im Schaufenster des Lottogeschäfts werden bunte Drachen, ohne Lenk-, angeboten. Leider reicht das Geld nicht. Kurz vor der Haustür grinsen immer noch die Stoibers. Bücken nach einer Kastanie. Blutgeschmack im Mund.

Ein Kaffee steht vor mir. Wenn ich nicht tippe, halte ich die Kastanie in der Hand. Draussen auf der Straße klappern Hufe, an die Fenster klopfen Regentropfen.

Zwölf Uhr Mittags. Zeit zum Schlafen.

* * *


24.09.02
"Nun seien Sie mal nicht so empfindlich" hat da gestern natürlich noch gefehlt, eben, sei nur nicht so empfindlich.

Sie haben ihn sich angesehen und gemeint, daß er nicht wie ein Rechter aussähe. Bist Du links, haben sie ihn gefragt, los, sag, daß du links bist, dann gibt´s Dresche. Ich bin links, hat er geantwortet. Dresche gab´s nicht. Mutiger Sohn, tapferer Sohn. Hoffentlich ist bald Freitag.

Ich habe hier eine leere Spülmittelflasche stehen. Pril Balsam. Davon krieg ich keinen Ausschlag. Auf der Flasche sind drei Aufkleber. Ja, Prilblumen. Wenn ich mich nur entscheiden könnte, wo sie hingeklebt werden sollen. Auf jeden Fall an die Küchenfliesen, das ist klar. Blöde nostalgische Ader. So toll waren die Jahre in prilblumenbeklebten Küchen wirklich nicht.

Und außerdem ist die vorliegende homepage Nummer eins bei Google. Zumindest bei der Suche nach bestimmten Stichwörtern. Ein Besucher fand die Seite so. Wüsste gern, was da wirklich gesucht wurde.

Beim Stöbern auf der Designseite grad noch Poltrona di Proust gefunden, wie lange wünsche ich mir den schon, ein ganzes Zimmer würde ich ihm leerräumen. Der Proust-Stuhl und die Prilblumen, genau. Sympathisch auch der Herr Mendini.

* * *


23.09.02
Der krebskranke Patient, ja, der mit dem Speiseröhrenkrebs, Sie erinnern sich?, genau der - nein, keine Sorge, er lebt, ja er lebt. Wie die Geschichte weiterging, ich sag Ihnen, das war vielleicht eine Sache. Sitzt er vor ein paar Wochen dem Arzt gegenüber, der sehr nachdenklich, sehr still ist und dem Mann schließlich sagt, daß er nicht recht weiß, wie nun weiterhin zu verfahren sei. Denn das Karzinom war verschwunden, einfach so. Stimmt, natürlich nicht einfach so - Chemo und Bestrahlungen, natürlich. Der Krebs war weg, besiegt, wie man so schön sagt, der Mann hatte den Krebs besiegt. Naja, Sie wissen ja, daß das so schnell nicht geht. Meist kommt er wieder, der Krebs. Deshalb sollte der Herd entfernt werden, Herd nennen sie die Speiseröhre, komisch eigentlich, naja, egal, und so wurde er vor knapp zwei Wochen operiert. Neun ganze Stunden haben die rumgeschnitten und gemacht, kein Wunder, daß der hinterher fertig war, der Mann, fix und fertig war der, ich sag es Ihnen. Alle waren sie fix und fertig, ich hab die Ehefrau erlebt, na, da sag ich gar lieber nichts, man weiß ja nie, wie man selbst - Sie wissen schon. Jedenfalls, es ging dann aufwärts. Schritt für Schritt, letzte Woche bekam er Tee und Zwieback und sogar, und das war ein Herzenwunsch, ein Glas Cola. Der muss so einen Durst gehabt haben, drei Tage hat er nach Cola gebettelt, hatte immer nur diese Cola im Sinn. Als er sie gekriegt hat, trank er ein halbes Glas und war´s zufrieden. Alles schön und gut also.

Bis Samstag. Da wurde alles, Tee und Zwieback und Cola zurückgepfiffen, irgendwie haben sie ein Loch in ihm entdeckt, da, wo Magen und der Speiseröhrenstumpf zusammengenäht sind, wenn ich das richtig verstanden habe. Hat ihn voll zurückgeworfen, vor allem psychisch, vestehen Sie, seelisch. Das schafft er noch, soll er gesagt haben, aber dann darf nichts mehr kommen, weil mehr schafft er nicht mehr. Sie kennen doch den Mann - wenn der sowas sagt. Aber naja, so im ersten Moment. Aber dann. Gestern. Also am Nachmittag, die Ehefrau war mit dem Enkelsohn zu Besuch. Da haben sie bemerkt, daß er immer schlechter schnauft. Und glühend heiß war. Kam dann eine Ärztin, untersuchte dies und das und schickte den Besuch des Mannes weg. Erzählte noch was von Lungenentzündung, Intubation und Intensivstation. So genau weiß ich es nicht, war ja schließlich nicht dabei, aber man hört ja allerhand. Man sagt zum Beispiel auch, daß die Ehefrau direkt zum Arbeitsplatz der Tochter fuhr. Mit dem Enkel, der Tochter ihrem Sohn, ja. Heulend stand sie dann dort vor der Tür. Sie kennen die Ehefrau - können Sie sich das von ihr vorstellen? Die ist doch sonst so beherrscht, grad vor der Tochter reißt sie sich zusammen, was das Zeug hält, das Verhältnis der beiden, na ich weiß nicht, geht mich ja auch nichts an.

Aber grad deswegen - den Schreck der Tochter, gute Güte, den möchte ich mir gar nicht vorstellen. Der soll´s eh nicht so gut gehen in letzter Zeit, aber das ist auch nichts Neues, genau, das ist diese Tochter, Sie wissen schon, genau die. Eine andre gibt´s ja nicht. Nein, auch kein andres Kind, der Sohn ist gestorben, schon lange her, also die Frau, die Ehefrau vom Patienten, ich muss sagen, sie hat´s schon auch nicht leicht. Der Patient, ach so, genau - ja, Entwarnung heute, es geht ihm ein bißchen besser. Liegt auf Intensiv wieder, das schon, aber ohne Tubus, sie vermuten, daß das gestern vielleicht eine Reaktion auf die Bronchodingsbums, also Spiegelung war. So, und nun sagen Sie mal, wie geht es denn Ihnen?

Ohgottogott, das klingt nicht gut - ihr Sohn? Sie haben ihn gestern abend weggebracht? Ach so, wegen Berufsschule - und da wohnt er nun die Zeit über, in einem Gasthof? Bis Ende der Woche, na, das geht ja. Achje, das ist schlecht, wenn er mit den Zimmergenossen nicht zurecht kommt. Aber bloß wegen dem Bier trinken, das ist doch normal. Soll er halt mal ein paar Schlückchen mittrinken, wird ihm auch nicht schaden, meinen Sie nicht? Große dumme Reden schwingen die Jungs? Dumpfbackig und rechtsgerichtet? Naja, das muss man nicht überbewerten. Der wird halt klarkommen müssen, Ihr Sohn. Ist ja kein kleines Kind mehr - nun reißen Sie sich doch mal zusammen. Das wird schon.

Ja schauen Sie, da kommt die Frau X. - hallo Frau X., lange nicht gesehen, hallo - bestens, danke, und selbst? Viel Arbeit, na, wer hat die nicht. Schwere Arbeit und anstrengende Kollegen, ach wissen Sie, früher gingen wir zu Fuß fast zwei Stunden zur Arbeit und am Abend wieder zurück, und dann wurde gekocht um acht am Abend und einmal die Woche Wäsche gewaschen, aber ohne Maschine, und wir waren nicht nur zu Zweit, nun beschweren Sie sich mal nicht. Lesen statt arbeiten und Haushalt, das wäre uns gar nicht eingefallen. Ja, natürlich macht das müde. Alles zuviel? Keine Energie, keine Zeit für Projekte und Ausruhen? Achwas, verschonen Sie mich mit Details, mir brauchen Sie nicht zu erzählen was arbeiten heißt, mir nicht. - So einen Blödsinn hört man selten, muss ich sagen, den leeren Kopf voll mit Worten? Sehnsucht nach Allem im Nichts? Also ehrlich, jetzt aber echt - irgendwann werden Sie auch mal wieder frei haben, Donnerstag, na sehen Sie, dann schlafen Sie sich mal aus und dann geht´s gleich wieder besser, so freuen Sie sich doch auf den Donnerstag anstatt zu jammern. Überhaupt dieses Gejammer überall. Die Krankheiten, die Kinder, die Arbeit, fehlt bloß noch das Gejammer über´s Geld hier, überall geht´s den Leuten schlecht, so ist das Leben halt, hat keiner gesagt, daß das Leben ein Picknick ist. Jedem geht´s schlecht, jeder hat´s schwer, jeder hat seine Probleme, die andren und Sie und ich, ja auch ich. Stellen Sie sich vor.




Fahren durch die Nacht, lang, viel zu lang. So viel Zeit, viel zu viel Zeit. Rausschauen. Ein voller Mond. Regenspiegelnde Straßen. Weite Felder, ein paar Kiefern. Häuser, Lichter, schon vorbei. Vorne nun auch Ruhe, es surrt nur noch der Motor. Fläche bis zum Horizont, Bäume auf Hügeln. Gräue. Und Leuchtwolken, klein, groß, weg. Schwärze. Fahren, immer weiter fahren. Richtung zurück. Der Mond, das einzig Beständige, einzig Verläßliche, diese Nacht.

* * *


22.09.02
Weil das so schön ist irgendwie:



Noch schöner, wenn er viel Platz hat.

Gefunden wurde das Bild hier.


Ein Nachtrag zum lifeline-link vom 19.: Bei dem zu gewinnenden Kochbuch handelte es sich zum Zeitpunkt der Verlinkung um ein Pilzkochbuch. Ich will das nur mal erwähnt haben.

Und jetzt geh ich zwei Kreuze machen. Heute abend mach ich hoffentlich drei.

* * *


20.09.02
Kurz vor 20.00 Uhr. Würde ich jetzt zu Bett gehen, ich könnte 11,5 Stunden dort verbringen und vielleicht schlafen.

Kurz nach 21.00 Uhr. Würde ich seit einer Stunde schlafen, so hätte ein Telephongespräch nicht stattgefunden. Frischgewaschene Wäsche hinge nicht auf der Leine. Im Kühlschrank wäre noch Käse. Morgen müsste ich mit ungewaschenen Haaren zur Arbeit.

Sonst weißt Du nichts? Dochdoch - aber - ach, ich weiß nicht recht. Vielleicht vor Eichen sollst du weichen. Ist so. Eine aus großer Höhe herabfallende, auf deinem Kopf zerspringende Eichel zwingt dich in die Knie. Ein bißchen nur und kurz, doch immerhin.

* * *


19.09.02
Pilze? Ich bin mir grad nicht sicher, ob das originell oder geschmacklos ist.




Ganz leise klingen die Saiten, ein kühler Wind streift meine Beine unter dem Tisch, ich bügle das Hemd mit fremder Hingabe, so lange ich bügle wird nichts geschehen, denke ich, solange die Saiten leise klingen, ab und zu, wird es nicht zu spät sein. "Schau aus dem Fenster, oder auch in den Spiegel", hieß es, und ich glätte weiße Nähte. Es ist das letzte Hemd.

* * *


18.09.02
"Wie war es in der Arbeit?"

[allabendliche Mutterfrage seit Jahren, statt "Schule" nun eben "Arbeit".]

"Schön!"

[wie wohltuend! Nach jahrelangem, gelangweiltem "Scheisse wie immer...".]

"Magst erzählen?"

"Also ich hab dies und das und jenes gemacht, und die Meisterin hat mir was gezeigt und der Herr S. hat gemeint, daß - und dann hab ich einen Botengang gemacht!"

[Und wie er erzählt - lebhaft, angetan - gern.]

"Botengang? Wie, was, wohin?"

"Nach S., da sollte ich was abliefern."

"S.? Wie bist Du da hingekommen? Das ist doch ganz woanders?"

"Na mit dem Zug, zehn Minuten. Die Firma hat die Fahrkarte bezahlt."

"Cool. Und du hast da gleich hingefunden? Ich kenn mich dort gar nicht aus."

[rumgeirrt wäre ich, verzweifelt.]

"Aber ja. Die haben mir einen Stadtplan mitgegeben."

[mein Kind allein mit Stadtplan im fremden Stadtteil. Das ist gut. Er lernt dort was für´s Leben. Es scheint ihm auch gefallen zu haben, er lacht jetzt noch beim Erzählen. Ob er, so wie ich früher hätte ...?]

"Hast recht getrödelt, hm, Pausen gemacht?"

"Ja, Pausen hab ich schon gemacht. Klar."

[ist wohl normal. Irgendwie hätte ich es ihm aber nicht zugetraut. Nützt sowas doch eigentlich sonst nicht aus. Wie er grinst - hoffentlich hat er nicht übertrieben.]

"Hoffentlich hast es nicht übertrieben. Mit den Pausen."

"Nein, aber ich hab Pausen gebraucht. Die vielen Treppen, die hab ich nicht so locker geschafft."

"Treppen?"

"Ja, die Treppen. Hoch zum Fernsehturm."

[oh, der Turm in S. Wie gern wollte ich schon immer mal!]

"Wow, da warst du oben? Erzähl, ich war da noch nicht nie, aber ich wollte schon immer mal rauf! Ist ja geil, erzähl!"

"----"

[was ist nun? Warum sagt er nichts? Und schaut so komisch?]

"Also ich hab dem Herrn S. im Keller einen Umschlag gebracht."

"---?---"

"Du hast das doch nicht geglaubt, oder?"

Bis zum Schluß hab ich ihm jedes Wort geglaubt. Seine Fassungslosigkeit war daraufhin schier grenzenlos - er glaubte bis zum Schluß, ich spiele sein Spiel mit.

* * *


17.09.02
Also auch Barlach ein "Entarteter". Und gleich darauf ist er gestorben.

* * *


16.09.02
Heute Nacht im TV.

* * *


15.09.02
Es ist nicht leicht, morgens freiwillig früh aufzustehen, es ist auch nicht leicht, früher als wirklich nötig das Haus zu verlassen. Etwas versuchte mir einzureden, daß eine Stunde länger im Bett viel angenehmer, daß eine Stunde auf der Couch viel wichtiger sei. Wichtiger als diese Ausstellung, die heute endet. Warum ist Selbstüberwindung so schwer?

Sehr froh dann, daß ich es geschafft habe. Zwar wüsste ich nicht, was ich verpasst hätte, doch vielleicht mal vage ahnen?

Nach dem Verlassen der Kunsthalle erschrecken. Eine Straße, Autos, Welt. Um zwölf sollte ich in der Arbeit erscheinen - Blick auf die Uhr, noch genug Zeit. 45 Minuten grad war ich Bilder anschauen und hab vergessen, Arbeit, Welt, mich und einfach alles vergessen. Seltene Minuten. Minuten, viel länger als ihre wahre Dauer, sie sind jetzt noch da und werden es noch lange sein.

Schade, daß ich mir den Ausstellungskatalog nicht leisten kann. Umso mehr Freude beim Finden der Photographien im Netz. Und nun stelle man sich das alles vor in schönen weißen hohen Räumen, die großen, wunderbaren Bilder sparsam gehängt ...




Ich spiele gern Backgammon. Wahlweise auch diese Version. Spiele das also gerne, mal zwischendurch, mal exzessiv. Meistens verliere ich. Wesentlich schlimmer als das Verlieren sind die Phasen, in denen der Gegner abgezockt wird. Wenn er verliert mit zwei Steinen, die noch nicht mal wieder im Spiel sind. Wenn er zu siegen schien, vielleicht sieben Steine draussen hat und dann die Wende, eine Nachlässigkeit oder einfach nur Pech und das war´s. Er hat das Spiel verloren, ich gewinne triumphal. Er tut mir dann leid, der Rechner. So leid, daß das Spielen gar keinen Spaß mehr macht. Schon bedenklich, irgendwie.

* * *



12.09.02
Kennzeichen der Erschöpfung: Schwindel, Müdigkeit, Blässe, Appetitlosigkeit, das Übliche usw. Seit einigen Tagen neue Erscheinungen, kurzwährende dreifache Desorientiertheit, abwechselnd; Unfähigkeit, die Herkunft diverser Geräusche einzuordnen ("Hilfe - es ist hinter mir!" - das welke Blatt, das dort vorn über die Straße kratzt.); unbegreifliche Mißempfindungen.

Ein wenig Motivation aus der Einbildung ziehen: Es ist ein Selbstversuch, du hast durchzuhalten. Daraus resultierendes Versagensgefühl beim Zu-Bett-Gehen vor 22.00 Uhr. Zum Glück rettet mich das Telefon.

Verquere Gedanken.

Zeit im Zug oder Leerlauf in der Arbeit nutze ich sonst gern mit Lesen. Derzeit nicht möglich. Passiv vor mich hinstarrend versuche ich mit meinen Gedanken Schritt zu halten. Oder versuche es auch nicht.

Lesen im Zug muss möglich sein, zum Buch greifen, doch schon beim Wort "Handarbeitslehrerin" halte ich inne, nein, es scheint, als würde ich innegehalten ohne es zu bemerken. Irgendwann stelle ich fest, daß ich nicht mehr mit Georg Franz bei den Äpfeln stehe, sondern mich im Klassenzimmer bei Frau F. befinde. "Verschränkt eure Arme!" Ich weiß nicht, was das bedeutet, Arme verschränken und wage nicht nach den Armen der andren zu schauen. "Du auch! Auch du sollst Deine Arme verschränken!" und mühsam schiele ich zur Sitznachbarin. Frau F., nie war ihr eine Masche gut genug: zu fest, zu locker, verzählt und verloren. Frau F. und Handarbeit trugen ihr Teil dazu bei, das Mädchen-sein weiterhin zu verabscheuen.

Zeichen der Erschöpfung. Das kleine Erleben wird wahrgenommen, und für den Moment ist es schön oder traurig oder merkwürdig, für den Moment ist es was auch immer es ist, doch es ist flüchtig. Es wird erlebt doch nicht erzählt. Geschichten gehen verloren, die fauchende Fledermaus, wie hübsch sie ihr Köpfchen hob und sich umsah - vorbei und vergessen. Nicht der Unbedeutendheit wegen wird nicht erzählt. Ich kann nur nicht. Mehr.

Der mir gegenübersitzende Mann im Zug liest den Stern. Er blättert um. Ich schaue hoch. Ein junges Frauengesicht blickt mich an, der Mund ist zugenäht. Seine Hand hält die Zeitschrift dort, wo der Slogan steht. Ich glaube, Werbung für Erstwähler.

Beim Aussteigen aus der Straßenbahn empfängt mich eine warme Morgensonne. Tut gut nach dem tagelangen Frieren. "Krah krah krah" aus den Bäumen. Ein kräftiges "Guten Morgen!" eines mir fremden Radfahrers. "Äh, ja, guten Morgen." Er ist schon längst anderswo.

Eine Gruppe "irgendwelcher Langzeitarbeitsloser, die zum Mediengestalter ausgebildet wird", so der Gruppenleiter. Vielleicht ist es Neid, der mir diese Leute so unsympathisch macht. Ekelhafter profaner Neid. Sehr jung sind sie, sehr arrogant, nicht alle, nein natürlich nicht, schere nichts über einen Kamm, sehr übereifrig oder betont gelangweilt. Die eine oder der andre wird die Chance vielleicht nutzen und in ein paar Jahren erfolgreich sein. Ich hatte auch meine Chancen und bin nichts.

Eine Unbekannte bringt mich zum Lachen und aus den trüben Gedanken: "Sie sind viel schöner als Ihre beiden Kollegen dort drüben." Na toll.

Nervosität am Abend. Ich glaube in diesem Mann eine Person des öffentlichen Lebens zu erkennen. Wenn er es ist, war ich vor 1,5 Jahren oder so für die Dauer einer halben Nacht in ihn verknallt. Mehr sage ich dazu nicht. Etwa eine Stunde hadere ich mit mir und spreche ihn dann an. Eine gute Gelegenheit, auf Volker Staab und vor allem seinen in meinen Augen fast und beinahe genialen Museumsbau hinzuweisen. Und somit auf Margherita Spiluttini , die ich ungesucht wieder und wieder finde.

Und nun habe ich noch gar nicht von der Fernsteuerung und den Lämmern erzählt.

* * *



11.09.02
Achja, die Raben rufen "Krah krah krah", vielleicht auch ein Grund, warum ich sie schon immer so gern mag, weil sie sich nicht fürchten. Zudem sind sie wunderschön, elegant im Gegensatz zum Beispiel zu den Tauben, sie haben eine ruhige Art, nicht hektisch wie Meisen oder Spatzen, auch der vom Wallraffplatz war mir nie so lieb wie ein Rabenvogel; und außerdem, die Raben sind immer da und nah.

Es gab eine Zeit, vor vielen Jahren, sechs Wochen dauerte diese Zeit der Ahnung von Glück, Frühling, natürlich, Frühlingsgefühle, und täglich schaute ich mir die Eichelhäher in den Bäumen vor meinem Fenster an, von der Couch aus. Das Ende vom Glück dauerte nur eine Nacht, und als ich erwachte, auf meiner Couch, waren die schwarzen Raben in den Bäumen, die großen schwarzen Vögel, einer wagte sich gar auf den Balkon. Wochenlang lag ich auf der Couch und wochenlang sah ich die schwarzen Raben, Kolkraben oder Krähen vielleicht, und keinen einzigen Eichelhäher mehr. Es war tröstlich. Diese Vögel, ob schwarz oder nichtschwarz, trösten und beruhigen mich.

Sie beruhigen mich, wenn ich morgens an den Wiesen entlang gehe, oft noch gedrückt von den nächtlichen Ausflügen, nervös in Erwartung des Tages, sie sind da, sitzen im Grün oder fliegen ein Stückchen. Sie beruhigen mich noch, wenn ich schon ruhig bin, an den Wochenenden in den alten Gemäuern, auch da sind sie, sitzen auf Bäumen oder Dächern und ihnen Zusehen und Zuhören zieht mich oft an Orte, wo ich nicht oft hin will und doch sein mag. Sie sind immer da und waren es schon immer, schwarze Flecken auf weißbeschneiten Feldern und Rurak, mal bunt mal schwarzweiß, und sieben im Glasberg; rot bei Haffmans und düster bei Poe, und bei Nietsche, ja. Und auch die Eichelhäher vor meinem Fenster sind wieder da, schon lange. Von meiner Couch aus, wohlgemerkt: Couch, nicht Hempel´s Sofa, schaue und höre ich ihnen manchmal zu.

Mit den Eulen haben die Raben übrigens nichts zu tun, aber ein bißchen vielleicht, das ist jedoch eine andre Geschichte, zu traurig jetzt.





Letzten Samstag oder Sonntag war es, ich höre Bremsen quietschen und einen dumpfen Schlag, sehe ein Auto im Grünstreifen und zwei junge Kerle herausspringen und "Scheiße" brüllen, Menschen eilen hinzu und entfernen sich wieder, nichts ist passiert, zum Glück. Einer der jungen Kerle telefoniert, der andre räumt Dinge vom Auto weg, ich bleibe wo ich bin. Eine gute Weile später an der Stelle vorbeilaufend sehe ich, was da geknickt und verbeult auf dem Grünstreifen liegt, ein Wahlplakatsständer mit Stoibers Konterfei, der Stein des Anstoßes sozusagen. Nebendran lächelt Schröder.

* * *



09.09.02
Dies steigert das Beklemmungsgefühl. Nach langen Stunden stundenlangem Kopfreden sich sagen hören: "Ein Zwiebelbrot, bitte." - "Noch was?" will die Verkäuferin wissen, und auch das "Nein" kommt sehr fremd. Fremde dünne Stimme. Fortsetzung im Kopf.

* * *



08.09.02
"ich vermisse dich..." - "ich auch."


* * *



05.09.02
"Ja, das ist schon alles furchtbar", sagt mir der alte Mann. "Aber wissen Sie, alles war auch nicht schlecht, was der Hitler gemacht hat". Dies wird mir oft gesagt, jedoch seine Begründung ist mir neu. "Meine Enkel nämlich", fährt er fort, der alte Mann, "meine Enkel und auch andre Leute, die haben selbst im Sommer lange Hosen und manchmal Pullover an. Das gab es beim Hitler nicht."





Der Bahnhof ist nun also rauchfrei, seit ein oder zwei Tagen: „Zur Verbesserung der Sauberkeit und aus Rücksichtnahme auf Nichtraucher". (NN) Mich stört das nicht, ich habe genug Orte zum Rauchen. Was mich stört: Die blechern-quietschenden übermäßig lauten Durchsagen der Bahn, die auf dieses Rauchverbot hinweisen. Wo bleibt die Rücksichtnahme auf meine Ohren und Nerven?

Und was mich wundert: Warum sah ich heute geschätzt doppelt so viele Reinigungskräfte im Bahnhof als sonst? Wenn das kein Zufall war und sich die nächsten Tage fortsetzt, wird die Bahn ihre Aktion mit Sicherheit als "vollen Erfolg" werten können.





Geschichten zu vielen der Bilder und viele Geschichten ohne Bild dazu, vielleicht ist es die Vielfalt, die mich am Erzählen hindert, eine Geschichtenflut verdichtet zu Massen, gleich den Wassermassen eines Meeres, keine Wellen mehr erkennbar. Nein. Wellen manchmal schwer erkennbar. Manche der Geschichten möchte ich nicht untergehen lassen, da war zum Beispiel die Schlange.

Wer den zweiten Stock des Haus des Meeres über das Treppenhaus betritt, steht direkt vor einem großen Terrarium. Ich sah vor allem Kinder, es waren einige Schulklassen im Hause unterwegs, doch gleich darauf die Schlange. Groß und ruhig liegt sie dicht am Glas, unbeeindruckt scheinbar vom Geschehen vor der Scheibe. Zwischen den Köpfen der Kinder hindurch beobachte ich sie von Weitem. Ich mag große Schlangen. Würgeschlangen. Riesenschlangen. Als kleines Kind lernte ich die Worte ganz bewusst auswendig, daran erinnere ich mich: Anaconda, Phyton und Boa Constrictor. Und Kaa.

Was will ich erzählen, die Kinder verlaufen sich in andre Räume, kein Mensch mehr vor der Scheibe, ich trete näher und hocke mich hin. Presse fast die Nase an das Glas und schaue sie an. Schau sie nur an, wie sie zusammengerollt in sich ruht, langsame Atemzüge, welche die Schuppen sacht in Bewegung versetzen, sonst keinerlei Regung. Ich schaue und schaue und möchte Stunden hier sitzen. Die Schlange beginnt nun sich zu rühren, der Körper streckt sich, ein Kopf wird sichtbar und steigt in die Höhe, kreiselt ein wenig, ganz langsam dies alles, sie scheint mich zu sehen, anzublicken und ich schau in ihre Augen, wer hypnotisiert hier wen? Ihr Kopf ganz nah an meinem Gesicht, sich langsam drehend und nun züngelnd, durch die Glasscheibe erhalte ich einen Kuss von der Schlange und wäre da keine Scheibe es wäre mir egal, hat Eva so gefühlt, war das die Verführung, warnt mich das Böse? Ich vernehme "Ahh" und "Ohh!" um mich rum und stehe, benommen, auf. Vor meinen Augen rollt sich eine Schlange zusammen. Schaue im Laufe des Tages noch öfter bei ihr, "meiner" Schlange vorbei, und immer liegt sie ruhig an der Scheibe.

* * *


02.09.02
... und alle lachen ... Immer wenn ich diesen Satz(-teil) lese oder er sich in mir bemerkbar macht, könnte ich weinen wenn ich könnte, mal aus diesem und mal aus jenem Grund.





Durch den Himmel fuhr heute wohl ein Traktor und furchte die Wolken mit seinen dicken Traktorreifen.





Dem Abizu geht es gut. Gut so!





Vor etwa zwanzig Jahren verkündete die Mutter eines Schulkameraden mitten auf der Straße stolz: "Mein Sohn ist jetzt ein Abizu." Dem Sohn war es ultrapeinlich und ich hatte ein neues Wort. Und seit heute auch einen Abizu zuhause. Während ich das erste Morgensonnenlicht im Zimmer bestaune, dürfte er gerade dort ankommen, es ist sieben Uhr. Ich bin gespannt auf heute abend. Und wohl noch niemals zuvor hoffte ich so sehr, daß seine Freude und Erwartung nicht enttäuscht wird.


* * *


01.09.02
Aus dem Zug steigen, viele Menschen, der Blick fällt auf den Kratzer im Gesicht eines Kindes, schlagartiges Tauchen in´s Gefühl der Nacht, blitzschnell spult der Film: - In den Spiegel blicken, zwei tiefe Schnitte im Gesicht, rechts, von der Schläfe bis zur Wange. - Das Netz zittert, die Sicht auf den Film ist verhüllt, ich steige die Treppe zum Bahnhof hinab.





Daß da des weiteren ein früherer Kollege mir Gebäck und Apfelkuchen lindgrün verpackt schenkte, ich ihm danken wollte, der Damenschuhe vor seiner Tür wegen dies jedoch auf später verschob, ein Später nicht zustande kam, weil der Dinosaurier im ersten Stock unruhig wurde, nun, dies ist alltäglich (allnächtlich?) und nicht weiter der Rede wert.





Die traurigste aller Traurigkeiten erleben, soll keiner sagen, dies sei unmöglich, die - natürlich - tränenlose Traurigkeit, wozu auch weinen, es gibt keinen Grund. Trifft sie auf Widerstand, gebiert sie Verzweiflung. Du bekämpfst sie nicht mehr. Sagst vielmehr leise "Hallo...", sie legt, liebevoll fast, den Arm um Dich und hüllt Dich in ihre neblige Wärme, sie fordert Hingabe, bedingunglose Hingabe, Du sehnst Dich danach und fürchtest zugleich die Verschmelzung, warum haben die Krähen sie wieder gerufen, das fragst Du Dich.





Ein Mann zum andren: "Kaum läufst du ein paar Meter, schon bist du da. Nur wenn du zum Schiffen musst, dann klappt das nicht."







* * *



verweise



disclaimer

kontakt + info

andre projekte: