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Wien:




Vier Tage in Wien - Teil 1


Wieder mitten im Alltag. Kaum wieder da, schon greift er mich wieder, der Alltag. Möchte mir aber ein Stück des Ausnahmezustands bewahren. Mir ist, als wäre die Reise sonst für nichts gewesen. Die Reise nach Wien, vier Tage, vier reiche Tage.


::-Die Fahrt-::

Die Angst vorher war unbegründet, d.h., ich hatte Glück. Ein Fensterplatz im Bus. Lilafarbene Vorhänge, altrosa Lehnenschoner. Pünktliche Abfahrt, kurz nach 20.00 h. Ein Sitznachbar, der schnell begreift, auf karge Antworten richtig reagiert, nämlich gar nicht. Ich habe Ruhe.

Bald merke ich die Wirkung der Reisetabletten, leichte Müdigkeit und das sichere Gefühl nicht reisekrank zu werden. Ich kann mich entspannen und beginne die Fahrt zu genießen. Das Stimmengewirr nimmt ab, die Musik ist ausschaltbar. Hinter mir geht die Sonne unter und vorne ist Dunkelheit, ich fahre gern durch die Nacht.

Am Rastplatz. Mein Versuch, um Bus Schokolade zu essen, schlug fehl. Über und über bekleckert, Flecken an Hose und Pulli von geschmolzener Schokolade. Dürftige Reinigung mit nassen Papiertüchern. Abschätzend-amüsierte Blicke von Fremden. Ich bin an Peinlichkeiten gewohnt, sie werden mir langsam gleichgültig.

Nebenbei läuft ein irgendwann ein Videofilm, nicht unangenehm.

Der Reiseleiter schreckt mich aus dem Schlaf, Ankunft in ca. 15 Minuten. Der Bus hält vor einem Hotel, doch ist mir klar, dass dies nicht das gebuchte ist. Zu edel, zu schick. Laufen durch Gassen, die Gegend wird finstrer, wir laufen und es scheint kein Ende zu nehmen, die Gegend wird bedrohlich, es ist kurz nach zwei und um drei endlich im Bett.

Natürlich wusste ich vorher, daß ich in einem Mehrbettzimmer landen werde. Hätte ich nur auch vorher von meinem Glück gewusst, viel Angst wäre mir erspart geblieben. Ich teile das Zimmer mit drei Studenten aus Erlangen, eine stammt aus Indonesien, ihre Freundin aus Malaysia, deren Freund aus Zypern. Die exotische Mischung ist nett, doch richtig schön und wichtig: ohne Absprache klappt alles reibungslos, niemand blockiert zu lange das Bad, keiner (auch ich nicht) verstreut Dinge im Zimmer, wir haben denselben Wach-Schlaf-Rhythmus.

- Es ist Montagabend, ich denke zurück und vermisse sie ein wenig, sie haben so viel gelacht. -


notizblock / *30.5.02, drei uhr nachts: endlich - im Bett! es stört kein bißchen, das es das obere eines stockbettes ist, welches eng gegenüber dem andren steht, es stört auch nicht, daß im zimmer rauchverbot herrscht und ich für jede zigarette aus dem dritten stock nach unten muss, es stört auch nicht, daß der aufzug kaputt ist. die fahrt war gut und dennoch ... endlich im bett. forrester, fußmarsch, schokoflecke.*


::-Der Donnerstag-::

Loslaufen nach dem Frühstück, den Westbahnhof schnell finden, 72-Std-Ticket kaufen und in die U-Bahn. Weiss noch nicht, was ich will, wo ich lande, was mich erwartet.

Ich neige manchmal dazu, sehr schnell sehr begeistert von Dingen zu sein. Das ist nicht immer gut. Zu schnell wird unkritisch bejaht, zu oft wird erst beim genauen Hinsehen deutlich, entpuppen sich Fassaden als das was sie sind, Fassaden nämlich und das Dahinter hält dem schönen Schein nicht stand.

Bewusst habe ich mich vorab kein bißchen über Wien informiert, somit habe ich keine Vorstellung vom Museumsquartier, höre, bzw. lese das Wort zum allerersten Mal. Schleiche die Straße auf und ab. Schwellenangst. Einladend wirkt das nicht hier (später werde ich feststellen, mich an der Schmalseite des MQ herumgetrieben zu haben, hätte ich mich um die Ecke gewagt, wäre es einfacher gewesen).

Überwinde die Schwellenangst, bin doch schon groß, gehe durch das Tor, einen kurzen Gang, und dann ein erster Eindruck, eingebrannt vielleicht für immer, jetzt abrufbar, dieses Bild des weiten Areals, der strahlendblaue Himmel darüber, die Gebäude. Die Fassaden sind beeindruckend.

Eine sms reisst mich aus dem Staunen. Wie gut, etwas tun zu können. Zur nächsten Bank gehen und eine sms lesen und beantworten. (dark*, vielleicht hast du mich wirklich vor einer Ohnmacht bewahrt). Lange bleibe ich auf der Bank sitzen, es ist später Vormittag und angenehm ruhig hier. Studiere Informationmaterial und begreife: auf dem Gelände befinden sich verschiedene Museen. Das Museum für Moderne Kunst ist derzeit leider geschlossen, doch vielleicht werde ich mir die Sammlung Leopold ansehen. Aber nicht heute. Heute will ich in die Stadt, mich umgucken.

Und laufe los, Verkehr und Lärm, kaum daß ich das MQ verlassen habe erschlagen mich schier, da, ein Park, ich gehe hinein und finde hier meine vagen Vorstellung von Wien realisiert: eine glänzende Mozartstatue empfängt mich, vor ihr auf gepflegtem Rasen wachsen rote Blumen in Form eines Notenschlüssels, ein Schmetterlingshaus gibt es hier und insgesamt wirkt das alles sehr schön, die vielen unterschiedlichen Pflanzen, dazwischen Statuen, Park halt. Oder meinetwegen auch Burggarten, dessen Wege mich zur Innenstadt führen. Dort habe ich, nachdem heute Feiertag ist, nicht viele Menschen erwartet. Das war ein Irrtum.


notizblock / *31.05.02, 14.00 h: sitz in einem straßencafe´, ecke fleischmarkt/rotunderstraße, ein cappucchino mit sahne (ja, mir ist bekannt, daß das hier schlag heißt) vor mir. aus dem inneren des cafés klingt leise p. simons "graceland", altvertraut in der fremde, irgendwo ein straßensänger, schritte, gesprächsfetzen, ab und zu autos.

es ist zu viel zum erlaufen. volkstheater. museumsquartier. ein großer park mit mozart und schmetterlingen, stephansplatz und -dom. laufen, schauen, laufen, schauen, überall riecht´s nach pferd und plötzlich ist´s mir zuviel. hunger. überall essbares, überall leute, viele, viel zu viel leute. ich lande bei nordsee, so bin ich also nach wien gefahren, um als erstes scholle und reis zu essen. anschließend, sehr satt nun, entdecke ich die netten kleinen (und billigeren) lokale in der bäckergasse. morgen vielleicht. nun ist kurz nach 14.00 h, ich sitz im cafe´, langsam sollte ich mich entscheiden, was ich mit dem tag machen will.*


Weiterlaufen. Kapuzinergruft? Kapuzinergruft. Nicht gesucht und doch gefunden. "Silentium!" steht innen vor dem eigentlichen Eingang. Es könnte ein guter Platz sein hier, modrig-muffig dunkel, überall Särge, überall Tote, ich habe Ruhe erwartet. Doch es ist kein guter Platz, da so wenig Menschen die Bedeutung des Wortes "Silentium" verstehen. Oder nicht verstehen wollen. Es ist einzusehen, daß eine Reiseführerin hier spricht, nicht einzusehen ist, daß sie Teilnehmer ihrer Gruppe nicht am Witzeln und Kichern hindert, nicht einzusehen ist, daß offensichtlich Geschäftsmänner hier über Verträge streiten. Weiterlaufen. Österreichische Nationalbibliothek? Österreichische Nationalbibliothek. Doch leider leider schließt sie in 30 Minuten. Ich schau mich eine Weile um und laufe weiter. Spanische Hofreitschule? Lippizaner-Museum? Nein. Diesen Ort, an den ich mich als pferdebegeistertes Kind sehnlichst wünschte möchte ich mittlerweile nicht mehr sehen. Weiterlaufen, d.h. Straße überqueren, schon vorhin sah ich das Dali´-Plakat. Eine Ausstellung. Jedoch, es ist schon bald 4. Und heute ist Donnerstag. Das Kunsthistorische Museum hat Donnerstags bis 21.00 h offen. Auch am Feiertag? Auskunft gibt das Touristenbüro zwei Häuser weiter, unfreundliche Auskunft zwar, doch nun weiss ich, ich werde heute noch das Kunsthistorische Museum besuchen.


notizblock / *augustinerkirche 16.00 h wie schön das orgelspiel! wie schön, durch straßen zu laufen und die töne zu hören, innehalten, die tür zur kirche öffnen und nun einfach dasitzen und lauschen.*


Auf dem Weg stoße ich auf eine Merkwürdigkeit: in der Fußgängerzone, ein altes Eckhaus, es scheint ein Bankgebäude oder ähnliches zu sein, an diesem Haus finden sich Zettel über Zettel. Neugierig geh ich drauf zu und finde auf den Zetteln, nein, keine Wohnungsgesuche, keine Jobangebote, ich finde Gedichte und Aphorismen auf den Zetteln. Ein alter Mann spricht mich an: "Nun lesen Sie mal das, bitte - nur das hier - was halten Sie davon?" Wir diskutieren über den Begriff der wahren Freiheit des Menschen. Jemand mischt sich ein, es ist der Zetteldichter höchstpersönlich. Nette Begegnung. (Ja, Zetteldichter, auch in Nürnberg gibt es Bäume und Häuser, ich habe extra noch mal nachgesehen).

Noch vor 17.00 h betrete ich das Kunsthistorische Museum. Am Morgen war ich vom Museumsquartier beeindruckt, hier bin ich überwältigt. Vorerst nur von der Eingangshalle. Gestern um diese Zeit fing ich an das Bad zu putzen anstatt meine Tasche zu packen, soviel Angst hatte ich vor der Fahrt. Dankbar bin ich denjenigen die mir geholfen haben, so daß ich nun hier sein kann. Fühle mich jetzt zuhause, gut aufgehoben. Räume. Bilder. Farben. Motive. Vier Stunden, ich verbringe sie nur in der Gemäldegalerie und fast reicht die Zeit nicht. Die Welt ist vergessen, ich auch, da sind nur noch die Bilder. Angesichts der Größe der alten Kunst verlieren Dinge ihre scheinbare Bedeutung.


notizblock / *22.30 h endlich im bett. meine füße sind backsteine. welch übel, daß letzte woche die bequemen schuhe endgültig kaputtgingen (mit durchbrochener sohle trug ich sie noch, jedoch gerissene bänder machen haltlos), die mitgenommenen werfen blasen und morgen hab ich blutige backsteine. laufen laufen schmerz? ja, doch was hilft´s, jeder schritt ist schmerz und doch wird gelaufen und gelaufen, so ähnlich muss sich die kleine meerjungfrau gefühlt haben.

Cimon + Ephigenie (Rubens) - Konrad Brauner - "Dunkle Griet" (P. Breughel) - Maria von Ost...? (Allegorisches Stilleben der Vergänglichkeit) - Lukrezia - Hans Burkmayer und seine Frauen (Lukas Furtennagel) - Allegorie der Vanitas (Gregor Erhart) - - - Mystische Verlobung der Katharina - Erzengel Michael (Luca Giordano) - Susanna im Buch Daniel. --- morgen? dali´, friedhöfe, bäckersgasse + die gemäldegalerie!!*


Das war´s, das war mein erster Tag in Wien, der Stadt, die ich seit vielen Jahren sehen will, beinahe seit meiner Kindheit. Großgeworden mit einem, wie es heißt, klischeehaften Vertreter des Typs "alter Wiener", meinem Großvater nämlich, sehr charmant, sehr kultiviert, sehr zornig; großgeworden mit Schmäh, Topfengolatschn und Baba. Erzählungen - leider viel zu wenig - von damals, der Zeit, als er den Fiaker durch seine Stadt steuerte, Musik, manchmal, die ich von zuhause nicht kannte, Worte, die mir fremd und zugleich vertraut schienen. Großgeworden mit diesem Großvater, dessen Prägung ich erst nach und nach begreife, den ich, zumindest im Nachhinein muss ich es mir gestehen, in dieser seiner Stadt auch suche.

>>> Teil 2? >>>






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Der Zetteldichter

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