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Wien:




Vier Tage in Wien - Teil 3


Samstag:


Morgens an der Rezeption: Eine ältere Dame richtet eine Frage an den äußerst "schmähigen" (sagt man so?) Portier. Beide sprechen in deutscher Sprache, sie, so schätze ich, aus dem Kölner Raum, er natürlich wienerisch, und sie verstehen einander kein bißchen. Je mehr insbesondere er sich bemüht, dialektfreies Hochdeutsch zu sprechen, desto kurioser wird die Situaion. Schließlich lächelt sie ihn an, sagt "Ja danke", wendet sich ab und richtet ihre Frage an einen zufällig vorübergehenden Hotelgast.


In der Gemäldegalerie ist es ausgesprochen schön. Leider gibt es dort kein Gästebuch oder eine sonstige Möglichkeit, Mitteilungen schriftlich zu hinterlassen, sonst hätte ich geschrieben:

"Liebe Museumskuratoren/-techniker/-verantwortliche, die Gemäldegalerie ist wirklich ausgesprochen schön. Leider ist der Genuß der Bildbetrachtung z.T. sehr gemindert durch die unsägliche Hängung, bzw. Beleuchtung. Bildbeleuchtung mit Punktstrahler mag manch nette Effekte erzielen (ob dies nun im Sinne des Künstlers wäre, sei dahingestellt), jedoch macht es das Betrachten des Bildes als Ganzes unmöglich. Schade um die - zum Glück nur wenigen - betroffenen Bilder."

Immerhin hing das Weltgerichtstryptichon sehr aktzepabel!


Der Pförtner der Akademie erklärt mir den kürzesten Weg zum Zentralfriedhof, ich begebe mich zum Schwarzenbeckplatz (das Wort "Katsche" für eine Weile ständig im Kopf) und steige in die Straßenbahn Nr. 71. Das Verkehrsnetz hier ist vorbildlich. Frage mich, warum Menschen viel Geld ausgeben, um sich in Busse zu quetschen, sich stundenlang von einem Reiseführer mit Informationen berieseln lassen, die zum Teil wohl gar nicht interessieren, an vorgeschriebenen Orten wird ausgestiegen und sonst nicht - wenn es doch Straßenbahnen gibt.

Eine junge Frau läuft nach vorne, im denkbar kürzesten engen Minirock. Mein Blick fängt den der alten Dame neben mir, zwei Lächeln. "Die braung sie ned wundern, wönn´s überfoin wern". Oh. "Das allerdings passiert auch in Jeans." - "Jo, maanas?" - "Mein ich nicht. Weiss ich.." Zwei ernste Blicke. Sie senkt ihn und meint "Sie hom rechd ...", um mir dann vom Nordwind zu erzählen, der ständig über Wien hinwegweht.


Zentralfriedhof, Tor 1.

Zeit meines Lebens zog es mich zu den Friedhöfen. "In jedem Steinchen ist ein Toter" sagte mir meine Freundin, als wir, vielleicht 5 oder 7 Jahre alt über die reich bekieselten Wege des hiesigen Friedhofs liefen. Dies war eine beruhigende Vorstellung, schloß ich doch daraus, daß der Urgroßvater doch nicht im braunen Schrank des Kellers vermoderte (am Begräbnis nahm ich nicht teil, "weil das nichts für Kinder ist" - ich glaube, vom Begraben wurde auch gar nichts erzählt, die Toten meiner Kindheit waren von einem Tag zum andren einfach weg).

Zentralfriedhof nun, zwei Gräber will ich finden.

Losgehen, es tut gut, hier zu sein, die wenigen Menschen verlaufen sich, der Aufenthalt in der Natur ist schön, ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich Bäume, Vögel, grüne Draussen-Ruhe vermisst habe.

Zigarettenpause vor der Friedhofsverwaltung. Menschen gehen ein und aus und auf Nachfrage wird mir bestätigt, daß hier auch Samstags gearbeitet wird. Soll ich? Ich wage es. "Grüß Gott, kann ich ihnen helfen?" - "Vielleicht. Ich suche meine Urgroßeltern."

Die beiden Damen sind ausgesprochen hilfsbereit und freundlich, die ersten offiziellen freundlichen Wiener, denen ich hier begegne. Natürlich, es war mir schon klar, daß ich genauere Daten bräuchte, um ein - möglicherweise gar nicht existierendes - Grab auf einem der 45 Wiender Friedhöfe zu finden. In dieser Verwaltung gibt es keine komplette Übersicht für alle Gräber, doch ein Teil ist im Computer erfasst und sie suchen. "Wenn ihre Urgroßmutter Juliana hieß, dann liegt sie auf dem Hietzinger Friedhof". Hieß sie Juliana und starb sie 30-jährig? Sie starb jung, doch mehr weiß ich nicht. Mit Anschrift der zentralen Friedhofsverwaltung und einem Grabverlängerungsantrag verlasse ich das Gebäude.

So vieles, das einfach verschwunden ist, so vieles einfach aufgelöst. Traurigkeit und Wut beim Weitergehen, doch dann greift die Ruhe des Friedhofs wieder auf mich über. Schlendern. Lauschen. Schauen. Hier eine Kapelle, dort ein Babyfriedhof. Kinder hüpfen Seil, während die Eltern ein Grab harken. Dann ein Mahnmal. Es ist grauenhaft. Schwer vorstellbar, daß das Grauenhafte daran beabsichtigt war. Bin ich überempfindlich?

Das zweite gesuchte Grab finde ich. Sehr viele prominente Persönlichkeiten wurden hier beerdigt, doch ich mag das Grabpilgern nicht. Hier mache ich eine Ausnahme. Habe mir dieses Grab schlichter vorgestellt, doch irgendwie passt es auch. Phantastisch-romantische Geschichten der Jugend, der langen. Einer der Prinzen hat kein weißes Pferd, aber Wiener Dialekt. Und nun sinnierend hier am Grab. Die Todesnachricht damals beim Billardspiel.

Vier Stunden Friedhof, es ist genug, weg hier. Halb fünf , ich will zum Wurstelprater. Zuerst möchte ich jedoch einen Kaffee trinken, irre auf der Suche nach dem Bräunerhof durch die Wiener Innenstadt, finde weder Café noch Stallburggasse und da eine Toilette mal langsam auch nicht schlecht wäre, lande ich irgendwo, in einem unspektakulären Lokal mit spektakulärem häusel.


Nun aber auf zum Prater, ich will auf den Spuren des kleinen Elias Canetti wandeln, der in "Die gerettete Zunge" so denkwürdig von seinen Kindheitserlebnissen dieses Ortes berichtet.

Es hätten mich die Menschenmassen in der U-Bahn schon aufmerksam machen müssen ... Und diese Massen steigen am Praterstern auch aus, dabei ist doch schon halb 6? Während links ein Betrunkener gröhlt, dort vorne eine alte Frau geräuschvoll in ein zerfetztes Tuch kuddelt und überall auffällig unauffällige Menschen aufmerksam desinteressiert um sich blicken, erhasche ich den ersten Blick auf´s Riesenrad. Die Richtung stimmt, doch sonst stimmt nichts.

Ich erinnere mich gut, was ich erwartet habe, doch dies Zeugnis fast schon peinlicher Naivität werde ich öffentlich nicht preisgeben. Warum nur hat mir niemand gesagt, daß der Prater ein ganz normales Volksfest ist? (Weil du niemanden gefragt hast, weil du alles ganz alleine entdecken wolltest, ohne vorherige Information - Ja, ich weiß).

Wie trunken von all dem Lärm, den Farben und dem Blinkern wanke ich über das Gelände, nein, das hier ist nichts für mich, nur die Grottenbahn will ich sehen und das ist wirklich ein Wunder, ich finde sie rasch, jedenfalls glaube ich, nachdem mir die Kassiererin, noch eine nette Wienerin, erzählte, daß diese Bahn seit 104 Jahren auf dem Prater zu finden ist.

Canetti schrieb: "Draussen vor der Grottenbahn, bevor die Fahrt begann, gab es das Maul der Hölle. Es öffnete sich rot und riesig und zeigte seine Zähne. Kleine Teufel steckten Menschen, die sie an Gabeln aufgespießt hatten, in dieses Maul, das sich langsam und unerbittlich schloß. Aber es öffnete sich wieder, es war unersättlich, nie war es müde, nie hatte es genug, es war, wie Fanny, das Kindermädchen, sagte, Platz in der Hölle, um die ganze Stadt Wien und und alle ihre Menschen zu verschlingen."

Und vor dieser Bahn stehe ich nun und fühle mich erhaben inmitten des Trubels.

Zeit zum Flüchten, ebensowenig wie mit dem Prater kann ich mit den Angeboten diverser Menschen etwas anfangen, nein danke, ich will weder Drogen noch jemanden für´s Bett. Allerdings frage ich mich gerade beim Betrachten der Bilder, was sich hinter dem Zitat von Ingeborg Bachmann wohl verstecken mag.

Mittlerweile steige ich ohne zu überlegen in die richtigen U-Bahnen, lass mich zur Innenstadt fahren, esse eine Kleinigkeit und finde anschließend noch ein schönes Lokal, das Alt-Wien, von außen so unscheinbar, drinnen sehr angenehm, hier schrieb ich einen Großteil dieses Textes und nach weiteren Gassen rauf - Gassen runter fahre ich zum Hotel. Morgen ist Sonntag und ich muss zurück. Ich möchte nicht zurück. Möchte hierbleiben, weiter laufen, immer weiter laufen und schauen und irgendwann mit der Stadt verschmelzen, mich auflösen in ihr und vergehen.

Sonntag
Letzte Nacht die erste Nacht, in der ich träumte, oder mich an diese Träume erinnere, unter andrem von meinem Vater und mir wird bewusst, daß ich gestern den ersten Tag seit der Diagnose nicht an ihn gedacht habe. Ist auch gut so, daß Zuhause wird mich schnell genug wieder haben.

Noch habe ich einige Stunden hier, um halb vier am Nachmittag soll es zurückgehen. Ein paar Stunden, ausreichend um dem Hietzinger Friedhof einen Besuch abzustatten. Auch ein sehr schöner Friedhof, auch ein Pilgerfriedhof mit bekannten Namen auf den Grabsteinen, doch ich suche meine Urgroßmutter. Juliana liegt in Gruppe 47, hier ist auch ein Schild, doch keine der Gräbergruppen scheint dazu zu gehören.. Eine alte Frau mit Plastik-Gießkanne, eine Frau, wie sie wohl auf allen Friedhöfen der Welt zu finden ist, spricht mich an.

"Suchen Sie wen?"

"Ja, in Gruppe 47."

"Die kann hier nicht sein, weil schaun´s, ich bin auf 69 und das ist gleich hier."

"Aber da ist das Schild: Gruppe 47."

Nun blickt sie verwirrt. "Oh ja ... da soll sich einer auskennen. Sehn´s, es ist nicht einmal leicht, die Toten zu finden."

Ich fand die Juliana, was hatte ich erwartet?, ich erzähle es ungern doch wünschte ich mir ein fast verfallenes Grab, versteckt hinter Hecken und Wildwuchs, in dem sie ganz allein liegt, ein Grab, an dem ich mich für eine Weile niederlassen könnte, was ich vorfand war ein gepflegtes Familiengrab. Nein, es tun sich keine verborgenen innigen Gefühle in mir auf, ich bin nicht überwältigt, fühle mich nicht "endlich angekommen". Später, wieder Zuhause, erfuhr ich, daß die Urgroßmutter Rosa hieß.

Mein Großvater lebte seinerzeit in der Arndtstraße, in einem 4-stöckigen Haus, so wurde mir gesagt. Durch die Straße laufen, Stockwerke zählen, sinnieren. Ein mir wohlbekanntes Gefühl hebt sich deutlich von allen ab, die ganz besondere Mischung, Trauer, Wut, Angst. Fühl mich wurzellos. So viel war da und so viel ist weg; abgestorben, verloren gegangen, abgeschnitten. Bleiben Reste, tief vergraben, halb verdorrt. Neue Triebe? Ja, da spross, doch wurde beschnitten, vergessen, vertrocknete und starb. Warum hab ich mich so oft vernichtet? Diese Frage stelle ich mir hier, im Maidl-Bräu beim Cappucchino, nicht zum ersten Mal. Und möchte hier und jetzt, in diesem Moment, den Rest meines Lebens mit Weinen verbringen. "Einen Cappuchino bitte noch" - "Aber gern, kommt sofort." Tolle Bilder an der Wand. Schönes Lokal. "Schönes Lokal haben Sie." - "Ja, finden Sie? Danke!" Er freut sich sichtlich und strahlt. Unwillkürlich lächle ich zurück, und das war´s dann auch mit Weinen. "Bis zum nächsten Mal!"




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